Ärzte kommunizieren vermehrt online. Pflegenden wollen mehr Zeit am Patientenbett verbringen. Therapeuten fordern mehr Mitsprache bei der Prozessgestaltung. Drei Sätze, zufällig ausgewählt, aus verschiedenen Tageszeitungen.
Auffallend dabei ist, dass die allgemeinen Inhalte sich auf eine bestimmte Berufsgruppe beziehen. Warum wird, ausserhalb der Fachpresse, so selten der Begriff Gesundheitsfachleute verwendet? Meine These dazu: Wir Gesundheitsfachleute werden weder von den Patienten noch in der Öffentlichkeit als Team wahrgenommen!
Dabei hat das Thema interprofessioneller Zusammenarbeit in den letzten Jahren im Gesundheitswesen einen regelrechten Boom erfahren. Als Forderung seitens Berufsangehöriger, die ganz konkret die Kommunikation zwischen den Berufsgattungen verbessern wollen, bis hin zu dem vom Bundesrat lancierte Förderprogramm „Interprofessionalität im Gesundheitswesen 2017 -202“. Die Vorteile der interprofessionellen Zusammenarbeit sind unbestritten: Die immer anspruchsvollere Diagnostik, Behandlung und Betreuung von Patienten kann nur mittels interprofessioneller Zusammenarbeit bewältigt werden. Die zunehmende Ressourcenverknappung, im finanziellen wie auch personellen Bereich, zwingt uns, in Zukunft unsere Zusammenarbeit noch effizienter zu gestalten. Eine gelungene interprofessionelle Zusammenarbeit wirkt sich nachweislich positiv auf die Zufriedenheit am Arbeitsplatz und die Verweildauer in den einzelnen Berufen aus. In Zukunft erfährt die interprofessionelle Zusammenarbeit, durch z.B. die integrierte Versorgung, zunehmend Bedeutung über die Institutionsgrenzen hinaus.
Der Handlungsbedarf ist gegeben, das Thema lanciert. Was wird tatsächlich in der Praxis umgesetzt? Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (samw) gab im Jahr 2017 dazu eine Forschungsarbeit (1) in Auftrag: Die Praxis gelingender interprofessioneller Zusammenarbeit. Dabei stellte sie fest, dass der Begriff uneindeutig verwendet wird, in der Bedeutung überfrachtet und als kommunikatives Vehikel für sehr unterschiedliche Ziele benutztwird. Grundlage der Forschungsarbeit waren insgesamt 25 Interviews mit Fachpersonen aus unterschiedlichen Berufsgruppen. Die Praktiker wurden gebeten gelingende und misslingende Beispiele der interprofessionellen Zusammenarbeit zu beschrieben. Aus den Antworten wurde deutlich, dass die Umsetzung der Zusammenarbeit über die Berufsgrenzen hinweg, stark vom beruflichen Umfeld und situativen Kontext beeinflusst wird. Grundsätzlich ist eine konstruktive Zusammenarbeitskultur und Augenhöhe zwischen den Berufsgruppen eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen der interprofessionellen Zusammenarbeit. Gleichzeitig wird in der samw-Studie darauf hingewiesen, dass kultureller Wandel einen zwar nötigen, aber noch keinen hinreichenden Ankerpunkt bildet, um interprofessionelle Zusammenarbeit nachhaltig zu fördern.
Diese Feststellung kann ich, aufgrund meiner eigenen Führungserfahrung wie auch EFQM-Assessoren Praxis, bestätigen. Im Rahmen der Arbeiten zum Buch ‘Excellence im Schweizer Gesundheitswesen’ (2) hat sich das Autorenteam intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und die folgenden fünf Erfolgskriterien identifizieren:
Patientenzentrierung:
Der Miteinbezug des Patienten und seines Umfelds ist gelebte Praxis.
Teamarbeit:
Die Prozesse und Verantwortlichkeiten sind definiert und den einzelnen Teammitgliedern bekannt.
Kommunikation:
Eine Kommunikation auf gleicher Augenhöhe fördert die Kooperationsbereitschaft massgeblich. Funktionierende Kommunikationswege und -gefässe sind etabliert.
Leadership:
Gegenseitige Akzeptanz und Wertschätzung werden von der Führung vorgelebt. Verbindliche Ziele für die gesamte Organisation sind hinterlegt und finden entsprechende Beachtung.
Wissens- und Qualitätssicherung:
Die Kommunikation von verbindlichen Qualitätsstandards vermittelt Sicherheit. Alle Lessons learned werden dokumentiert und tragen zur gemeinsamen Weiterentwicklung bei.
Diese Erfolgskriterien zeigen, dass der Weg zur gelebten Interprofessionalität anspruchsvoll ist und eine langfristige Aufbauarbeit bedingt. Das Ziel bleibt, der Patient und sein Umfeld sollen uns Gesundheitsfachleute als ein belastungsfähiges und konstruktiv zusammenarbeitendes Team erleben.
- Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (2017) Die Praxis gelingender interprofessioneller Zusammenarbeit. Swiss Academies Reports 12.
- Buch ‘Excellence im Schweizer Gesundheitswesen’, Eveline Mettier Wiederkehr et al. 2019, Versus Verlag, ISBN 978-3-03909-286-4